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Rückschritt statt Fortschritt.

Frankfurt am Main, 07.09.2023 – „Mehr Fortschritt wagen“ und gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen – das hatte sich die Ampel-Koalition bei ihrem Regierungsantritt auf die Fahnen geschrieben. Doch der Kurs, den sie nun mit dem Bundeshaushalt für 2024 einschlägt, bedeutet einen Rückschritt und eine Einschränkung von Partizipationschancen. Er wird für die Menschen in Frankfurt spürbare Auswirkungen haben. Die Kürzungsvorhaben bedeuten massive Einschnitte an Beratungs- und Hilfeleistungen, die unmittelbar fehlen werden. Die persönlichen Folgen und die sozialen Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft sieht die Liga der Freien Wohlfahrtspflege Frankfurt am Main (Liga Frankfurt) mit großer Sorge.

Die Kürzungspläne kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die gesellschaftlichen Herausforderungen nicht gesunken, sondern erheblich gewachsen sind. So hätten die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg infolge des russischen Angriffskrieges sowie die damit verbundenen Inflationsrate und Energiekostensteigerungen alles andere als einen finanziellen Kahlschlag im sozialen Bereich erwarten lassen. Angesichts der überproportionalen Einsparungsvorhaben bei der sozialen Infrastruktur appelliert die Liga Frankfurt darum an alle politischen Verantwortlichen, sich für einen sozial ausgewogeneren Haushaltsentwurf einzusetzen.

 

Kürzungen um 25 Prozent drohen, die soziale Infrastruktur fundamental zu gefährden

Einsparungen von insgesamt etwa 25 Prozent bei Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege sieht der aktuelle Entwurf des Bundeshaushalts vor. Die Liga Frankfurt ist alarmiert: Schon Ende September letztes Jahres hatten Sozialdezernentin Elke Voitl und sie sich in einem gemeinsamen Appell an Bund und Land gewandt, um soziale Spaltung zu verhindern und soziale Infrastruktur zu sichern. Gefordert wurde eine finanzielle Absicherung, damit die Einrichtungen der Wohlfahrtspflege ihre Aufgaben auch in Zukunft erfüllen können. Denn auch ohne nominelle Kürzungen waren die sozialen Träger schon damals aufgrund der allgemeinen Preissteigerungsrate großen, teils existenzbedrohenden Sparanstrengungen ausgesetzt. Nun, kein Jahr später, ist nicht nur der Erhalt des fragilen Status Quo gefährdet, es droht gar die Einstellung ganzer Hilfsprogramme.

 

Stark betroffen ist die Migrations- und Flüchtlingshilfe. Hier gibt es Kürzungspläne in Höhe von 30 Prozent in der Migrationsberatung (MBE). Dies ist für Hessen besonders dramatisch, da es das einzige Bundesland ist, in dem die Träger der MBE allein auf die Bundesförderung angewiesen sind und keinerlei Landesförderung erhalten. Als wesentlicher Baustein des Integrationsangebots sind die MEB sowohl für die steigende Zahl geflüchteter Menschen als auch für Zugewanderte beispielsweise aus Europa oder Amerika wichtig. Die Einschränkung der Bundesmittel würde einen drastischen Abbau von dringend notwendiger und gesellschaftlich relevanter Beratung bedeuten. Es ist zu befürchten, dass dann die Chance auf eine gelingende sprachliche, berufliche und soziale Integration für viele Menschen deutlich sinkt.

 

Weitere Kürzungen von über 50 Prozent sind in der Asylverfahrensberatung (AVB) und von rund 60 Prozent sind bei den Psychosozialen Zentren für Geflüchtete (PSZ) vorgesehen. Sorge bereiten auch die Kürzungsabsichten bei den Freiwilligendiensten: Geplant ist hier eine Absenkung um 78 Mio. Euro der Bundesmittel in 2024 sowie um weitere 35 Mio. Euro in 2025. Damit ist jeder vierte Freiwilligenplatz in Gefahr. Über den Freiwilligendienst kommen junge Menschen in Kontakt mit dem sozialen Bereich, was nicht nur eine persönlich hilfreiche Erfahrung ist, sondern die Motivation erheblich erhöht, einen Beruf im sozialen Feld zu wählen. Nicht zu unterschätzen ist zudem, dass über dieses Engagement die Bedeutung des Sozialstaats konkret erfahrbaren wird - sei es im Rettungsdienst, in der Altenpflege, in der Behindertenhilfe, in der Kinderbetreuung, in Angeboten der Jugendarbeit, im Naturschutz oder der Umweltbildung.

 

Erhebliche Bedenken hat die Liga Frankfurt zudem hinsichtlich des geplanten Rechtskreiswechsels der unter 25-Jährigen: So sollen diese in ihrer beruflichen Findungsphase und Integration in den Arbeitsmarkt künftig nicht mehr vom Jobcenter, sondern von den Arbeitsagenturen betreut werden. Bei einer solchen Verantwortungsverlagerung muss strukturell sichergestellt werden, dass die jungen Menschen auch künftig ganzheitlich begleitet werden.

 

Ein anderes Angebot für junge Menschen steht gänzlich zur Disposition: die Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule, die Zugewanderte bei der Vorbereitung eines Hochschulstudiums in Deutschland unterstützt und dadurch potentielle Fachkräfte von morgen befähigen soll. Ende dieses Jahres ebenfalls beendet werden soll das Präventionsprogramm Jugendmigrationsdienst Respekt Coaches. Sein Ziel es ist, demokratische Werte für junge Menschen erlebbar zu machen und sie in ihrer Persönlichkeit zu stärken. Dringend notwendig, wenn man bedenkt, dass antidemokratische und antipluralistische Positionierungen in allen Bereichen der Gesellschaft nach wie vor weit verbreitet sind.

 

Respekt und Solidarität sind das Fundament unserer Gesellschaft

Ein modernes Einwanderungsland, wie es die Ampel-Regierung versprochen hat, sieht – so viel ist sicher – anders aus. Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird damit geschwächt und nicht, wie im Koalitionsvertrag proklamiert, gestärkt. Bereits heute sind besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen von der derzeitigen Krise um ein Vielfaches mehr betroffen als diejenigen mit mittleren und hohen Einkommen. Hier ist mehr und nicht weniger Sozialstaat gefragt. Respekt, wie ihn der Bundeskanzler Olaf Scholz stets anmahnt, geht Hand in Hand mit Solidarität.


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2023-09-07_Pressestatement_Liga Frankfur
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